Bildquelle: Bildarchiv Austria der ÖNB

Die Rolle von Geschworenengerichtsprozessen bei der juristischen (Nicht-)Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen in den 1970er-Jahren

von Sarah Hammerschmid

Die 1970er-Jahre in Österreich sind gezeichnet von einer beschämend geringen Anzahl an Prozessen gegen NS-VerbrecherInnen. Diejenigen, die geführt wurden, endeten größtenteils mit Freisprüchen, die meisten davon durch Geschworenengerichte: Josef Wendl wegen Massenvernichtungsverbrechen in Lagern an Jüdinnen und Juden (freigesprochen 1970), Ferdinand Friedensbacher wegen Kriegsverbrechen an griechischen ZivilistInnen (freigesprochen 1970), Otto Graf und Franz Wunsch wegen Massenvernichtungsverbrechen in Auschwitz (beide freigesprochen 1972), Johann Vinzenz Gogl wegen Misshandlung und Ermordung von KZ-Häftlingen in Ebensee (freigesprochen 1972), Andreas Vogel wegen Kriegsverbrechen im Zwangsarbeiterlager Loiblpass (freigesprochen 1970)[1]… Diese Liste ließe sich lange weiterführen. Warum haben so viele Geschworene (also zufällig ausgewählte BürgerInnen, die über Schuld oder Unschuld der TäterInnen entscheiden dürfen) ehemaligen Nazis bei Ahndungsprozessen in den 1970er-Jahren Freisprüche erteilt? Es gibt Erklärungsansätze: Emotional gefällte Urteile, Berufung auf den Befehlsnotstand, Überforderung mit den juristischen Rahmenbedingungen und selbst Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus. Christian Broda, damaliger Justizminister im Kabinett Kreisky I, hat die Geschworenengerichtsbarkeit als demokratische Urform der Strafverfolgung im Sinne der Gewaltenteilung und des Mitbestimmungsrechtes hochgehalten, allerdings im gleichen Atemzug auf die immensen Problematiken verwiesen. Die Frage nach Geschworenengerichtsbarkeit führt zu einer Debatte über demokratische Grundprinzipien, z.B. zur Frage, wer in welcher Art und Weise den Demos repräsentiert – schließlich fühlt sich ein Teil des Demos bestimmt nicht von einer Geschworenenbank, die aus vier ehemaligen NSDAP-Mitgliedern besteht, repräsentiert. Schlussendlich, so äußerte sich Broda, sei dieses öffentliche Desaster nicht den Geschworenengerichten per se zu verschulden, sondern den dahinter liegenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Er bezeichnet die Geschworenengerichtsbarkeit als „Spiegel der Reife der Gesellschaft und ihrer Auffassungen“[2] und schreibt: „Man darf sich nicht mit der Bekämpfung der Symptome begnügen, son


[1] Winfried R. Garscha, Die 35 österreichischen Prozesse wegen NS-Verbrechen seit der Abschaffung der Volksgerichte, Nachkriegsjustiz, www.nachkriegsjustiz.at/prozesse/geschworeneng/35prozesse56_04.php (abgerufen 18. 6. 2023).

[2] Christian Broda, „Geschworenengerichte und Demokratie“. Handschriftliche Notizen, Mappe IV.54.II, ÖNB, Handschriftensammlung, IV.54.1.