Die Wiener Vereine „Steine der Erinnerung“ und „Steine des Gedenkens“ und deren Umgang mit Erinnerungskultur

von Otto Harrer

 

Blickt man in Wien etwas genauer auf den Gehsteigboden, so fällt einem möglicherweise da und dort eine kleine viereckige Messingtafel, nahe der Hauswand, auf. Was zunächst vielleicht etwas unscheinbar erscheint, entpuppt sich als Gedenktafeln für die Opfer der Shoa. Die Tafeln tragen die Aufschrift „Hier wohnte“, gefolgt von Name und Datum und sind an der letzten sesshaften Adresse der jeweiligen Personen platziert. Diese Tafeln befinden sich in ganz Europa und sind auf das Kunstdenkmal „Stolpersteine“ des deutschen Künstlers Gunter Demnig zurückzuführen. Angelehnt an desse Stolpersteine platzieren in Wien aber nicht Demnig, sondern ehrenamtliche Vereine ähnliche „Steine“. Nun stellt sich doch die Frage, warum das so ist und wie diese Vereine ihre Arbeit der Erinnerungskultur verstehen.

Der Verein „Steine der Erinnerung“ entstand 2005 aus einer persönlichen Initiative von Elisabeth Ben David-Hindler mit der Absicht, eine Gedenktafel am ehemaligen Wohnort der Eltern ihres Onkels anbringen lassen. Da Demnig mit seinem Kunstprojekt in Wien bereits scheiterte, was vermutlich auf Unstimmigkeiten mit der Stadt zurückzuführen ist, beschloss sie die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Durch Zufall und etwas Glück konnte sich David-Hindler durchsetzen, ließ Gedenktafeln im 9. und 2. Bezirk platzieren und gründete, auf Grund des großen Zuspruchs von Beteiligten und Angehörigen, einen Verein.

Aus einer ähnlichen Motivation entstand der Verein „Steine des Gedenkens“. Prof. Karl Hauer erstellte aus eigener Initiative eine Liste aller jüdischen Personen des 3. Bezirks. Er wurde 2007 auf die Steine der Erinnerung aufmerksam und beschloss, gemeinsam mit seinem Kollegen Gerhard Burda, ebenfalls tätig zu werden. Da die Gründung einer Untergruppe des bereits bestehenden Vereins nicht zustande kam wurde ein eigener ins Leben gerufen, was die Zusammenarbeit der Vereine aber nicht hinderte.

Seither verlegten die Vereine etliche Gedenktafeln im öffentlichen Raum. Der Ablauf ist dabei ein ähnlicher wie bei den Stolpersteinen: Angehörige wenden sich an den Verein mit der Anfrage einen Stein führ ihre Vorfahren oder Verwandten zu setzen. Der Verein recherchiert in den Datenbeständen nach Informationen und prüft die Durchführung in Absprache mit Stadtrat, Magistrat und Bezirksamt. Wird der Stein gelegt findet eine Eröffnungszeremonie der Steine statt bei der die Angehörigen, aber auch Anwohner und Passanten teilnehmen. Neben den Gedenktafeln setzen sich die Vereine aber auch anderswertig ein. Es werden regelmäßig Broschüren zu den einzelnen Tafeln und Personen veröffentlicht, der „Weg der Erinnerung“ befasst sich mit früheren Einrichtungen des jüdischen Lebens in Wien, eine Ausstellung „Unsere vergessenen Nachbarn, die Landstrasser Juden“ fand im Bezirksmuseum statt oder es wird zum Teil auch Jugendarbeit an Schulen oder anderen Vereinen betrieben. Bei einem Projekt der Wiener Philharmoniker wurden 17 Steine des Gedenkens von vertriebenen Musiker*innen in mehreren Bezirken verlegt. Ebenso gilt das Gedenken nicht ausschließlich der jüdischen Bevölkerung. Seit einigen Jahren entstehen auch Tafeln für Widerstandskämpfer*innen, Roma und Sinti und anderen Bevölkerungsgruppen.

Ihre Aufgabe sehen die Vereine in der individuellen Gedenkkultur. Ziel ist das Gedenken an einzelne Personen und deren individuellen Schicksale. Die vertriebenen, deportierten und ermordeten Personen sollen wieder an ihren Heimatort zurückkehren. Auch wenn die Tafeln in erster Linie für die Angehörigen der Opfer ist, leisten die Denkmäler automatisch einen wichtigen Beitrag für die Erinnerungskultur unserer Gesellschaft. Sie schaffen eine Gedenkkultur, die die Opfer des Nationalsozialismus aus der Anonymität herausholt und ihnen ein Gesicht gibt. Die Steine laden dazu ein, innezuhalten, zu reflektieren und sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Sie sind ein Appell an die Gesellschaft, sich aktiv mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und ein deutliches Zeichen gegen das Vergessen und Verdrängen zu setzen.

 

Quellen:

Astrid Michlmayer, Eine Erinnerungskultur in Wien: Stolpersteine und ähnliche Projekte. Lassen sich geschlechtsspezifische Unterschiede in Erinnerung und Diskurs finden?, Dipl. Arb., Universität Wien 2013.

Interview mit Daliah Hindler, geführt von Otto Harrer, 4.7.2023, Aufnahme bei dem Autor.

Interview mit Thomas Breth, geführt von Otto Harrer, 3.7.2023, Aufnahme bei dem Autor.

Verein Steine der Erinnerung, 10 Jahre Steine, die bewegen, Wien 2015.

Verein Steine der Erinnerung, Weg der Erinnerung durch die Leopoldstadt, Wien (o. J.).

Anna Warda, Ein Kunstdenkmal wirft Fragen auf, zeitgeschichte online, URL: zeitgeschichte-online.de/geschichtskultur/ein-kunstdenkmal-wirft-fragen-auf (abgerufen 3.7.2023).

Wiener Philharmoniker, Steine des Gedenkens, Wien 2022.