Der Holocaust im Wandel der Erinnerungskultur
von León Eberhardt
In der deutschen Gesellschaft besteht große Einigkeit, dass der Holocaust ein singuläres
Ereignis in der nationalen Geschichte darstellt.
Diese Haltung wurde in der Vergangenheit jedoch nicht nur heftig erstritten, sondern wird auch in den letzten Jahren zunehmend hinterfragt. Stellvertretend dafür stehen der Historikerstreit von 1986/87 sowie der als „Historikerstreit 2.0“ ausgerufene Konflikt um den afrikanischen Intellektuellen Achille
Mbembe. Beide Auseinandersetzungen werden in diesem Artikel kurz dargestellt und
eingeordnet, um die Holocaust-zentrierte Erinnerungskultur in Deutschland zeitgeschichtlich
zu verfolgen.
Als Ernst Nolte mit seinem Beitrag „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ in der „FAZ“ seine
Gedanken zum Stellenwert der Shoah in der deutschen Erinnerungskultur teilt, da zieht er vor
allem eine Parallele zwischen dem GUlag-System in der Sowjetunion und den
nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Ersteres, das suggeriert er mithilfe rhetorischer
Fragenmit, sieht er gar als Ausgangspunkt und dadurch Erklärung an, weshalb das NS-Regime
eine systematische Vernichtung von unerwünschten Bevölkerungsgruppen, hauptsächlich
Jüdinnen und Juden, vornahm.
Eine These, die bei rechten Intellektuellen große Zustimmung fand. Unter CDU-Kanzler Kohl
waren bereits seit Anfang der 80er Jahre Versuche gestartet worden - etwa durch den Plan eines
deutschen Nationalmuseums - den Stolz der Deutschen wieder zu heben und einen Schlussstrich
hinter der NS-Vergangenheit zu ziehen.Habermas, auf erheblichen Widerstand stießen. Die Singularität des Holocausts stand für Habermas außer Zweifel. Dessen Antwort auf Nolte veröffentlichte er wenig später per Artikel in der „Zeit“ („Eine Art Schadensabwicklung“). Die darauf entstehende Debatte sollte als
„Historikerstreit“ in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen. Die Sieger waren im Übrigen
„die Linken“, indem sich die allgemeine Anerkennung des Holocausts als singuläres Ereignis
in der deutschen Geschichte nachhaltig durchsetzte.
Zwar fanden in den letzten Jahren durch die rechtsnationale Partei „Alternative für
Deutschland“ immer wieder Versuche der Relativierung des Holocausts statt, eine intellektuelle
Debatte darüber brach aber diesmal eine politisch linksorientierte Wissenschaft von der Stange:
Die Postkolonialstudien in der Person von Achille Mbembe. Ausgangspunkt spielte hier die Einladung der Ruhrtriennale an den renommierten afrikanischen Intellektuellen im Jahr 2020. War dieser noch in den Jahren zuvor mit dem Geschwister-Scholl-Preis in München ausgezeichnet worden, so sorgten seine Verwicklungen in israelfeindliche Organisationen – diese kamen 2020 ans Licht - für einen politischen Aufschrei, u.a. vom Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, Felix Klein. Dass es hier früher oder später hier „krachen“ müsste, war bei genauer Betrachtung des Konflikts wohl abzusehen: Die postkoloniale Vergangenheit Deutschlands rückt seit einigen Jahren in den medialen Vordergrund, wie etwa die Diskussion um die Providenzen derAusstellungsstücke des Humboldt-Forums demonstrierte. Gleichzeitig sind postkoloniale Forscher*innen oft verwoben mit israelkritischen Organisationen, da sie Israel ebenso als
koloniales Projekt sehen.
Die sensible deutsche Erinnerungskultur rund um das Thema Antisemitismus und Shoah lehnt
jedoch jegliche Abkehr von der Singularität des Holocausts ab. Die Debatte rund um Postkolonialismus und Holocaust wird daher als „Historikerstreit 2.0“ ausgerufen und demonstriert, wie aktuell und weiterhin brisant das Thema Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur verankert ist. Es bleibt abzuwarten, ob sich die deutsche Erinnerungskultur in den nächsten Jahren folglich breiter aufstellen wird und auch das Thema Holocaust vielseitiger verarbeitet.