"Hamburg des Ostens?" Der Ausbau des Wiener Hafens in der NS-Zeit 1938–1945

Projektleitung: Prof. DDr. Oliver Rathkolb
Projektmitarbeiter*innen: Mag.a Dr.in Ina Markova, Mag. Dr. Stefan Wedrac
Finanzierung: Hafen Wien
Laufzeit:
1.3.2021 – 30.9.2022

 

 

1974 gab das Wiener Stadtbauamt einen Tätigkeitsbericht über die Zeit zwischen 1935 und 1965 heraus. Dass es in diesem Zeitraum drei Systembrüche gab – von der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur zum NS-Terror bis zur Wiedererrichtung der Republik – wird nicht erwähnt. Zum Hafen selbst findet sich folgender nüchterner Eintrag:

„In städtischem Eigentum waren bei Kriegsende die Hafenanlagen Albern, Freudenau, Lobau und Kuchelau. Während der Hafen Freudenau, im Volksmund bekannter als ,Winterhafen‘, und der Hafen Kuchelau bereits um die Jahrhundertwende entstanden, fällt der Bau der Hafenanlagen Albern und Lobau in die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Im Rahmen des damals verfaßten Konzeptes eine ,Großhafens Wien-Südost‘, das im wesentlichen drei in sich geschlossene Hafenanlagen vorsah, sollte der Hafen Freudenau unter Beibehaltung seiner bisherigen Funktion als Schutz- und Winterhafen zu einem Stückguthafen ausgebaut, in Albern eine dem Getreide- und Massengüterumschlag dienende Beckengruppe und im Gebiet des Donau-Oder-Kanals Anlagen zur Lagerung und zum Umschlag von Mineralölen geschaffen werden.

Tatsächlich ausgeführt wurden ein Hafenbecken in Albern, vier Teilstücke des Donau-Oder-Kanales und ein Hafenbecken in der Lobau, außerdem in Albern fünf mit Umschlagseinrichtungen ausgerüstete Getreidespeicher mit insgesamt 85.000 t Lagerfähigkeit sowie Straßen und Bahnanlagen, Kanalisation und Wasserversorgung, in der Lobau Teile der Hafenbahnanlagen und Dammschüttungen für eine Zufahrtstraße und im Hafen Freudenau vorwiegend Gleisanlagen.“

Um die Planungen, Kompetenzstreitigkeiten und die Schicksale der für den Bau eingesetzten ZwangsarbeiterInnen soll es im Projekt „,Hamburg des Ostens?‘ Der Ausbau des Wiener Hafens in der NS-Zeit 1938–1945“ gehen. Folgende größere Themengebiete werden dabei untersucht:

Prolog:

In einer allgemeinen Einführung soll zunächst auf die Bedeutung der Donau als Wirtschaftsader für Österreich eingegangen werden. Dabei soll ein Bogen bis zum frühen 20. Jahrhundert gespannt werden. Danach wird auf die verschiedenen Wiener Häfen im Laufe der Jahrhunderte eingegangen, bevor die Situation unmittelbar vor dem „Anschluss“ beleuchtet wird.

Kapitel 1: Wien – Hamburg des Ostens? Der Entscheidungsprozess hinter dem Hafenausbau

Unter Berücksichtigung des Materials lassen sich hinsichtlich des Entscheidungsprozesses für den Ausbau des Wiener Hafens jedenfalls folgende Fragen beantworten: Wer waren die handelnden Akteure, welche Interessen trugen sie an den Hafenausbau heran? Wie war das Verhältnis zwischen Wien und Berlin? Wer trug die Kosten für den Hafenausbau? Welche wirtschaftlichen und ideologischen Zielsetzungen wurden an den Hafenausbau herangetragen?

Kapitel 2: Erdölsicherung für den Angriffskrieg – Geheimsache Wifo

Unter Berücksichtigung des Aktenmaterials lässt sich – trotz Geheimhaltungsbemühungen – klären, welche Unternehmen für ihre Bauvorhaben auf ZwangsarbeiterInnen zurückgriffen. Im Bundesarchiv Berlin eingesehene Unternehmen erlauben es ebenso zu rekonstruieren, welche Stellen – Landesarbeitsämter, Reichswasserstraßendirektion, Gemeindevertreter, Reichsverkehrsministerium, Unternehmen – treibende Kräfte bei der Ausbeutung von zur Arbeit gezwungenen Menschen waren und welche Bedeutung die Wifo-Anlage in Wien für die Erdölsicherung für den Angriffskrieg des Deutschen Reichs hatte.

Kapitel 3: D’runt in der Lobau – zivile Arbeitskräfte und Zwangsarbeit

Die Errichtung eines Zwangsarbeiterlagers für ungarische Juden und Jüdinnen im Sommer 1944 markiert nicht den Beginn der Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte in der Lobau. Spätestens ab Herbst 1940 wurden Nicht-Deutsche dort in „Arbeitslagern“ untergebracht. Dabei handelte es sich um zur Arbeit gezwungene Kriegsgefangene, aber auch um zivile Arbeiter. Das Lager in der Lobau war ein weit verzweigter Komplex. Es ist gesichert, dass auch als „arisch“ geltende politische Gefangene in der Lobau inhaftiert waren, zumindest in der Endphase der NS-Diktatur. Nach der Besetzung Ungarns durch die Wehrmacht wurde dieses Lagersystem um einen Bereich für jüdische ZwangsarbeiterInnen ergänzt, wobei die Wifo ein größeres und die Firmen Schmitt & Junk sowie Sager & Woerner kleinere Lager unterhielten. Zahlreiche andere Firmen „bedienten“ sich aber auch der dort eingesperrten Arbeitskräfte. Darüber hinaus muss in diesem Zusammenhang zwingend die Geschichte der Zwangsarbeit für die Deutsche Reichsbahn behandelt werden: Im Zuge des Hafenausbaus wurden Bahnhöfe und Gleisanlagen für den oder zum Hafen gebaut. Auch diese wurden von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen errichtet.

Kapitel 4: Widerstand – ein „schönes Platzerl“ inmitten des Terrors

Trotz des massiven NS-Repressionsapparats haben auch im (Zwangs-)Arbeitslager Lobau Menschen Widerstand geleistet. Widerstand ist dabei ein – in Anlehnung an die Definition des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes – bewusst breit verstandener Begriff. Im Konkreten umfasst Widerstand im Zusammenhang mit dem Ausbau des Wiener Hafens 1938–1945: Sabotage an kriegswichtigen Betrieben; politische (kommunistische) Propaganda gegen die NS-Diktatur; Flucht aus dem Lager Lobau; Hilfe für die dort Inhaftierten, wie sie etwa Helene Dasovsky in ihrer Gastwirtschaft „Schönes Platzerl“ in der Lobau leistete.

Epilog: „Deutsch“, sowjetisch, österreichisch – die Geschichte des Hafens nach 1945

Genauso wie der Wiener Hafen eine Geschichte vor der NS-Zeit hat, so gibt es eine Geschichte nach 1945, die im Rahmen dieser Studie auch zu schreiben sein wird. Die Auseinandersetzung – oder eben das Verschweigen – der NS-Finanzspritze in der Zweiten Republik muss ebenso Teil dieser Untersuchung sein, genauso wie der Anteil von ZwangsarbeiterInnen am geschaffenen Vermögen. Was war 1945 nach dem alliierten Luftkrieg eigentlich noch von den während der NS-Zeit fertiggestellten Hafenanlagen vorhanden? Die – quellentechnisch schwerer zu erschließende – Zeit der sowjetischen Besatzung gilt es ebenso zu beleuchten wie die schrittweise Transformation und Wandlung des Hafens nach Abschluss des Staatsvertrags 1955.