Kerstin von Lingen erhält ERC Advanced Grant

Kerstin von Lingen, seit 2019 Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Wien, hat einen der hochdotierten ERC Advanced Grants gewonnen.

Globale Migrationsregime: Ambivalente Lehren aus der Nachkriegszeit in Europa und Asien (1945-1951)

 

Während des Zweiten Weltkriegs und danach wurden Millionen von Menschen in Europa und Asien aus ihrer Heimat vertrieben. Zwangsmigration war nichts Neues, aber in einer Ära politischer Spannungen, die durch den Kalten Krieg und die Dekolonialisierung verursacht wurden, erzählt uns die Steuerung der Migration und die Umsiedlung von Millionen von Menschen eine globale Geschichte einer neuen internationalen Ordnung nach 1945. Die historische Forschung hat sich weitgehend auf den internationalen Rahmen für die Neuansiedlung und auf die persönlichen Erfahrungen der Flüchtenden und Vertriebenen konzentriert, doch fehlt uns ein Verständnis für die komplexen Praktiken der Ansiedlungspolitik. Durch Archivquellen und digitale Methoden werden wir diese Lücke füllen. So werden die vielfältigen Erfahrungen einzelner Akteure mit der großen Geschichte des humanitären Völkerrechts, Fragen des postimperialen Staatsaufbaus, der Staatsbürgerschaft und der Identitätsbildung verbunden. Das Projekt wird die Politik von Nationalstaaten und internationalen Organisationen aufzeigen und die Handlungsfähigkeit von Flüchtlingen und ihre eigenen Auswanderungsstrategien beleuchten, indem sie beispielsweise das Lager oder die Nationalität „wechselten“, um ihre Chancen auf Auswanderung zu erhöhen, oder indem sie behaupteten, zu Gruppen zu gehören, die als besonders gefährdet galten. Das Projekt besteht aus zwei Post-Docs, die sich auf spezielle Gruppen konzentrieren werden, die nicht dem üblichen UN-Schema entsprechen: Menschen, die zunächst nicht unter das UN-Resettlement-Mandat fielen (z. B. „Volksdeutsche“), und Binnenvertriebene in China. Die vier Promotionsprojekte werden sich auf die Neuansiedlung von Flüchtlingen und institutionelle "Knotenpunkte" in Europa und Asien konzentrieren, wobei der Schwerpunkt auf den Resilienzstrategien gefährdeter Gruppen sowie auf ausgewählten "Neuansiedlungszonen" liegt. Der PI wird die globale Perspektive einbringen und dafür sorgen, dass die Synergien zwischen den Projekten deutlich werden. Wir möchten mit unserem Projekt dazu beitragen zu erklären, wie Gesellschaften die enorme Aufgabe von Migrationsbewegungen bewältigen und die Frage der Integration lösen können. Die Politik der Neuansiedlung und Integration ist zentral für die Schaffung einer globalen Ordnung. Unsere Untersuchung wird uns helfen, die heutige Welt mit ihren großen Flüchtlings- und Migrationsströmen besser zu verstehen.

 

 

Prof. Dr. Kerstin von Lingen, M.A., ist Historikerin an der Universität Wien und dort seit 2019 Inhaberin der Professur für Zeitgeschichte (Vergleichende Diktatur-, Gewalt- und Genozidforschung). Zuvor war sie am Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ sowie am Historischen Seminar der Universität Heidelberg tätig. Sie war DFG Heisenberg Stipendiatin (2018) und Preisträgerin des Ernst-Otto Czempiel-Preises (2020). Gastprofessuren führten Sie an die ULB Brüssel (2016) und nach Wien (2017), sowie im Rahmen eines fellowships ans Lauterpacht Centre for International Law, Cambridge (2018).

Ihre Forschungsschwerpunkte gelten der Genozid- und Gewaltgeschichte, insbesondere dem Holocaust, Dekolonisierungsprozessen (mit Schwerpunkt Asien), zeithistorischer Rechtsgeschichte, Studien zu Memory, Identity and Apology, sowie der globalen Migrations-und Zwangsarbeiterforschung.

Unter ihren Publikationen sind drei Monographien (darunter ihre Dissertation Kesselrings letzte Schlacht. Kriegsverbrecherpolitik, Vergangenheitspolitik, Wiederbewaffnung: der Fall Kesselring, Paderborn 2004, sowie ihre Habilitation zu „Crimes against Humanity“, Paderborn 2018), sowie die Tagungsbände Kriegserfahrung und nationale Identität in Europa (Paderborn 2009), und (mit Klaus Gestwa) Zwangsarbeit als Kriegsressource in Europa und Asien (Paderborn 2014), sowie ihre Asienforschung Transcultural Justice at the Tokyo Tribunal: The Allied Struggle for Justice, 1946-48 (Brill 2018); Justice in times of turmoil: War Crimes trials in the Wake of Decolonization and Cold War in Asia (Palgrave 2016); Debating Collaboration and Complicity in War Crimes Trials in Asia (Palgrave 2017).

 

Pressemeldung zu weiteren ERC-Grants an der Universität Wien

 

Das Institut für Zeitgeschichte gratuliert herzlich zum eingeworbenenen ERC Advanced Grant!

 

Presseberichte

 

 

Photo: © Barbara Mair