Straßen(um)benennungen haben seit den 2000er-Jahren Konjunktur: Politisch inakzeptabel erscheinen in den öffentlichen Erinnerungsdebatten mittlerweile Persönlichkeiten mit Nähe zum Nationalsozialismus. In Diskussion steht jedoch auch die Frage, auf welche Weise topografische Bezeichnungen Dominanzverhältnisse und hegemoniale Erinnerungsdiskurse abbilden. Aber der in diesem Kontext geäußerte Ruf nach mehr Gendergerechtigkeit und mehr Sichtbarkeit von Frauen im öffentlichen Raum erweist sich im Zuge der gegenwärtigen Umbenennungspraktiken mitunter als paradoxes Rezept gegen politisch fragwürdige Ehrungen: Nicht wenige Wissenschafterinnen, die als akademische Pionierinnen und Wegbereiterinnen ihres Faches heute mit Straßennamen gewürdigt werden, waren auch politisch aktive Nationalsozialistinnen. An dieser anachronistisch anmutenden Praxis öffentlicher Gedächtnispolitiken setzt das vorliegende Heft an, indem es Perspektiven der Frauen- und Geschlechtergeschichte mit Biografie- und Wissenschaftsforschung verknüpft. Vorgestellt werden drei Wissenschafterinnen, nach denen zuletzt Straßen benannt wurden: Mathilde Uhlirz, Lore Kutschera und Margret Dietrich.
Heidrun Zettelbauer / Lisbeth Matzer
Changierende Namensgebungen und präfigurierte Lesarten. Mathilde Uhlirz’ Biografie als Irritation städtischer Gedächtnispolitiken
Lisa Rettl
Von halben Sachen und Wahrheiten. Die Botanikerin Lore Kutschera, der Nationalsozialismus und der große blinde Fleck
Birgit Peter
„… wurde ich bestärkt und bestimmt durch die Mitarbeit in der Hitlerjugend.“ Annäherung an die NS-Vergangenheit der Theaterwissenschafterin Margret Dietrich
zeitgeschichte extra
Sarah Knoll
Calling for Support: International Aid for Refugees in Austria during the Cold War
Lisa Rettl, Linda Erker (Hg.), Sichtbare Frauen – unsichtbare Vergangenheiten. Zur Problematik von Straßen(um)benennungen im Kontext von österreichischen Wissenschaftspionierinnen (zeitgeschichte 3), Göttingen: V&R unipress, Vienna University Press 2021.
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