Nachruf Heidemarie Uhl

Wir trauern um unsere Kollegin Heidemarie Uhl, die am 11. August 2023 überraschend nach kurzer Krankheit verstorben ist. Mit ihr verlieren wir eine hervorragende Wissenschaftlerin, die der Zeitgeschichtsforschung in Österreich wichtige Impulse gegeben hat, eine engagierte Dozentin und Kuratorin wissenschaftlicher Ausstellungen, und eine herzliche Kollegin und Freundin.

Gebürtige Steirerin, studierte sie zunächst Geschichte in Graz, wo sie auch ihre Dissertation verfasste, die 1992 unter dem Titel „Zwischen Versöhnung und Zerstörung. Eine Kontroverse um Österreichs historische Identität fünfzig Jahre nach dem ‚Anschluss‘“ publiziert wurde. Wie keine andere legte Heidemarie Uhl immer wieder den Finger in die Wunde bzw. die Leerstelle der österreichischen Amnesie in Bezug auf die Verbrechen der Nazizeit und erschütterte damit das nationale Selbstverständnis im Nachkriegsösterreich. Im Gefolge der „Waldheim-Affäre“ wurde ihre Stimme, zusammen mit weiteren, immer lauter, und sie geißelte die „Opferthese“ als bequemen Versuch Österreichs, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das Thema österreichische Erinnerungskultur im 20. Jahrhundert, insbesondere die Vertreibung österreichischer Jüdinnen und Juden, wurde ihr Lebensthema. 2005 habilitierte sie sich mit einer Arbeit zu „Transformationen des „österreichischen Gedächtnisses“. Krieg, Nationalsozialismus und Holocaust in der Erinnerungskultur der Zweiten Republik“, inzwischen zu einem Standardwerk zeitgeschichtlicher Forschung avanciert. Sie war in unzähligen TV-Dokus und Vorträgen in der Öffentlichkeit präsent, galt als streitbare Doyenne österreichischer Erinnerungskultur, und ging im Übrigen keiner Kontroverse aus dem Weg.

Heidemarie Uhl gelang es immer wieder, neue Themen im öffentlichen Diskurs zu platzieren, von der Sichtbarmachung der letzten Orte vor der Deportation, den Wiener Sammellagern (Ausstellung „Letzte Orte“ (2017/18), über die Ausstellung „Nur die Geigen sind geblieben… Alma und Arnold Rosé“ 2019), zu den vergessenen Opfergruppen, über ihre Forderung nach Umgestaltung der nationalen Gefallenengedenkfeiern am Äußeren Burgtor am Heldenplatz, bis hin zu ihrer letzten großen Freiluftausstellung im Oktober 2021: „Das Wiener Modell der Radikalisierung. Österreich und die Shoah“, die in englischer Fassung auch am Holocaust Memorial Center in Budapest und an der Wiener Holocaust Library in London gezeigt wurde. Heidemarie Uhl war in unzähligen Gremien und Beiräten aktiv oder sogar deren Vorsitzende, eine der Wegbereiter/innen des Hauses der Geschichte Österreich (HdGÖ) und an ihrer Arbeitsstätte in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften als Leiterin des Instituts für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte (IKT) zuletzt verantwortlich für den neuen Arbeitsbereich „Antisemitismusforschung“.

Den Studierenden ist sie durch ihre forschungsbasierte Lehre, teilweise zusammen mit weiteren Kolleg*innen, in guter Erinnerung, etwa zu den „Letzten Orten“ oder zur Provenienzforschung zu materiellen Überresten (etwa den Geigen) der Holocaustvertriebenen. Unzählige Masterarbeiten sind aufgrund ihrer engagierten Lehre entstanden. In Sitzungen hatte ihre Stimme Gewicht, und ihre Anregungen setzten neue Impulse – und ihr trockener Humor hat uns mehr als einmal wieder gelockert und zum Thema zurückgebracht. Sie wird dem Institut und uns als Kollegin fehlen, und es ist nur ein kleiner Trost, dass wir durch ihre grundlegenden Publikationen wahrscheinlich weiterhin jeden Tag an sie denken werden: „…nur die Worte sind geblieben“. Wir werden Heidemarie Uhl sehr vermissen.

 

(Kerstin v. Lingen)

 


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