Es könnte eigentlich als „nur ein kleinerer Raufhandel“ durchgehen, allerdings war ein Messer mit im Spiel und die Spitalseinweisung eines Verletzten: Am 18. April 1964 prügelten sich, so heißt es, Schwarze männliche Jugendliche aus einem Ausbildungsprojekt der Entwicklungszusammenarbeit in ihrem Wohnheim in Wien-Döbling. Der als „Messerstecher“ identifizierte Lehrling sollte unverzüglich abgeschoben werden. In weiterer Folge beförderten die involvierten Institutionen und Akteur*innen einen Skandal, der internationale Kreise zog; es agierten die Staatspolizei, der ÖGB, linke, rechte und Boulevard-Medien, das Außenministerium samt Vertretungsbehörden im Ausland, entwicklungspolitische Sprecher*innen, Schwarze antirassistische Initiativen, Verbände, transnationale Netzwerke.
Die Affäre entfaltete sich vor der Folie von Postnazismus, Kaltem Krieg und österreichischen nationalen Selbstentwürfen. Wie lässt sie sich in post- und dekolonialer feministischer Perspektive analysieren? Der Vortrag stellt mögliche Zugänge zur Diskussion und skizziert auch das umfassendere Projekt, das hiefür den Rahmen bildet. Zu den verwendeten Quellen zählt neben Presse- und Archivmaterial ein privater, zugleich höchst politischer Briefwechsel aus der Familiengeschichte der Vortragenden.
Hanna Hacker ist habilitierte Soziologin und Historikerin; sie hat an verschiedenen österreichischen Universitäten, an der Université Yaoundé I (Kamerun) und an der CEU Budapest gelehrt. Unter anderem hatte sie die Professur für Kultur- und Sozialwissenschaftliche Entwicklungsforschung am Institut für Internationale Entwicklung (2011–2014) sowie eine Gastprofessur am Institut für Zeitgeschichte (2017–2018) inne; zumeist ist sie als freie Wissenschaftlerin tätig. Ihre Forschungs- und Publikationsschwerpunkte umfassen feministische, queere und postkoloniale Theorie; Frauen*bewegungs- und Sexualitätsgeschichte; Entwicklungskritik, Critical Whiteness, Transnationalität.
INTERAKTIONEN – eine Vortragsreihe am Institut für Zeitgeschichte