In den letzten Jahrzehnten ist eine Vielzahl von Erinnerungen und Lebensberichten von Überlebenden von Nazi-Konzentrationslagern wie Mauthausen erschienen. Sie machen Hunderte von Verfolgten-Schicksalen sichtbar, die in den üblichen Darstellungen des KZ-Systems Mauthausens und dessen vielen Nebenlagern meist unterbelichtet bleiben, da sie überwiegend auf NS-eigenen Akten basieren.
Daneben fehlten bisher meist auch fundierte Analysen, die die vielen Facetten sichtbar machen, wie Häftlinge tagtäglich ihr Überleben im KZ zu sichern versuchten, ohne dabei ins Unterdrückungssystem involviert zu werden und trotzdem manchmal wahrhaft heroische Akte von Menschlichkeit und Widerstand erweisen konnten.
Die beiden Bände öffnen einen neuen Blick nicht nur auf die Formen von Terror und Vernichtung im Inneren der nationalsozialistischen KZs (und in der "Ostmark"), sondern auch auf das gigantische Okkupations- und Verfolgungssystem des NS-Regimes und seiner Verbündeten und Kollaborateure, das schließlich fast ganz Kontinentaleuropa erfasste. Diese externe Dimension wurde bisher oft ausgeblendet. (Die Bände 3 und 4, die sich mit der Häftlingsgesellschaft selbst und der Erinnerung an Verfolgung und KZ-Haft beschäftigen, werden 2022/23 erscheinen.)
Die Forschungen dazu beruhen auf über 850 Audio- und Video-Interviews mit den letzten noch lebenden ehemaligen Mauthausen-Häftlingen in Europa, Amerika und Israel, die in 16 verschiedenen Sprachen geführt, zu einem Teil ins Deutsche übersetzt und im Mauthausen-Archiv gespeichert wurden.
Mehr als 60 international arbeitende Oral-History-ExpertInnen und SozialwissenschafterInnen haben in diesem langjährigen Forschungsunternehmen mitgearbeitet. Es ist eines der größten, das jemals über ein einziges KZ durchgeführt wurde und wurde bzw. wird geleitet vom Professor emeritus für Zeitgeschichte Gerhard Botz (Universität Wien) und von einem Kernteam mit Dr. Alexander Prenninger (Ludwig Boltzmann Institute for Digital History - LBIDH), Wien/Salzburg), Dr. Regina Fritz (Universität Bern), Dr. Melanie Dejnega (FH Wien) und Mag. Heinz Berger (LBIDH, Wien) realisiert. Gefördert wurde das Projekt u.a. vom österreichischen Innenministerium, vom Zukunftsfonds, vom Nationalfonds und vom Wissenschaftsfonds (FWF).
Der erste Band „Mauthausen und die nationalsozialistische Expansions- und Verfolgungspolitik“ gibt einen Überblick über die KZ- und die Mauthausen-Forschung. Erst aus dieser Perspektive wird voll verstehbar, in welchen, weit über die „Ostmark“ hinaus reichenden Verflechtungen die Lebens- und zum Teil nur Überlebensverhältnisse für die Häftlinge standen. Einleitend wird hier auch detailliert offengelegt, auf welchen Quellengrundlagen, vorausgehenden internationalen Forschungen und Methoden (digital aufgezeichneten lebensgeschichtlichen Erzählungen, statistischen Analysen und intensiven Archivrecherchen) die hier erstmals veröffentlichten Ergebnisse beruhen.
Der zweite Band „Deportiert nach Mauthausen“ geht der Frage nach, auf welche Weise Häftlinge aus zahlreichen europäischen Ländern in den KZ-Komplex Mauthausen gebracht wurden. Immer neue und unterschiedliche Verfolgtengruppen wurden in die Zwangslager des NS-Regimes transferiert und innerhalb des gesamten Lagersystems hin- und hergeschoben. Dies und die Todesmärsche 1944/45 führten auch zu einem ständigen Wandel in der Binnenwelt Mauthausens. Trotz der Allpräsenz des Terrors und eines gewaltsamen Todes weichen die Schicksale der KZ-Insassen je nach Zeitphase und Häftlingsgroppe beträchtlich voneinander ab. Die Pluralität der Erfahrungen der Überlebenden und die vielfältigen Analyseansätze der AutorInnen dieses Bandes ermöglichen ein vertieftes Verständnis der sog. „Häftlingsgesellschaft".