Nachrufe

Wir trauern um Gerhard Jagschitz

1. August 2018

Der Zeithistoriker Gerhard Jagschitz ist am Montag 30.7.2018 nach Komplikationen infolge einer Operation im Alter von 77 Jahren in Wien gestorben.

Der breiteren Öffentlichkeit wurde Jagschitz v. a. als Kommentator der aktuellen Politik und kritischer Analyst der Vergangenheit bekannt. Jagschitz wurde am 27. Oktober 1940 in Wien geboren. An der Universität Wien studierte er Psychologie, Pädagogik, Volkskunde, Ägyptologie, Deutsche Philologie und Geschichte. 1968 wurde er mit einer Dissertation über „Die Jugend des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß“ promoviert.

Anschließend war er als Assistent am Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien tätig, wo er sich 1978 habilitierte und 1985 zum Universitätsprofessor für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte ernannt wurde. Zwischen 1994 und 2001 fungierte er als Vorstand des Instituts, 2002 ging Jagschitz in Pension.

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Gerhard Jagschitz (1940-2018), ein persönlicher Nachruf *)

Mit großer Trauer schreibe ich diesen Nachruf auf einen bedeutenden Zeithistoriker, der nicht nur Wissenschaftler, sondern auch ein engagierter Demokrat und Akteur der Zivilgesellschaft gewesen ist. Jagschitz gehörte der zweiten Generation der Zeithistoriker in Österreich an und begann seine Karriere als Assistent bei Ludwig Jedlicka 1968 mit einer leider nie publizierten, spannenden Dissertation über  „Die Jugend des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß“. Sein erstes Buch, mit dem er sich 1978 habilitierte, war dem gescheiterten Putschversuch der Nationalsozialisten 1934 gewidmet.

1985 wurde er Universitätsprofessor für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte. Zwischen 1994 und 2001 war er überdies ein sehr aktiver Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte.

Von frühesten Beginn seiner Tätigkeit am Institut für Zeitgeschichte an begann er aber neben seiner umfangreichen und sehr erfolgreichen Lehr- und Forschungstätigkeit eines der bedeutendsten zeitgeschichtlichen Bildarchive in Österreich aufzubauen und engagierte sich intensiv mit Gleichgesinnten an der Institutionalisierung audiovisueller Quellensammlungen. Wichtige Bildbände beispielsweise aus der Sammlung des Starphotographen Lothar Rübelt dokumentieren eindrucksvoll diese Arbeit.

Jetzt befinden sich – mit seiner Zustimmung – diese seine Sammlungen im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek bzw. – was die Tonquellen betrifft – in der Mediathek des Technischen Museums, mit der er ein umfangreichreiches Oral History Projekt in mehrstündigen lebensgeschichtlichen Gesprächen mit über 1.500 Männern und Frauen, Jugendlichen Erwachsenen und Senioren durchgeführt hat.

Gerhard Jagschitz war ein wesentlicher Pionier im Bereich der Dokumentation und Verwendung audiovisueller Quellen und hat überdies in seinen theoretischen Arbeiten international Anerkennung gefunden. Gerhard Paul, eine der bedeutendsten Bildtheoretiker der Gegenwart, wies darauf hin, dass Jagschitz als erster im deutschsprachigen Bereich den Begriff „Visual History“ verwendet hat.

Jagschitz war ebenso als Ausstellungsgestalter in Niederösterreich erfolgreich – u.a. mit Themen wie 1985 auf der Schallaburg „Die wilden 50iger Jahre“ oder mit Stefan Karner gemeinsam 1995  mit „Menschen nach dem Krieg. Schicksale 1945 – 1955“. Es war Jagschitz ein großes Anliegen, zeitgeschichtliche Themen in gediegener wissenschaftlicher Form einer breiten Öffentlichkeit näher zu bringen.

Ich selbst habe bei Jagschitz mein erstes Seminar absolviert, und er hat mich von der mittelalterlichen Geschichte zur Zeitgeschichte weggelockt. Mit Dankbarkeit erinnere ich mich an seine perfekte umfassende Betreuung meiner Dissertation in der Zeit des Interregnums zwischen Jedlicka und Erika Weinzierl. Er war ein engagierter und kompetenter akademischer Lehrer wie zahlreiche andere ehemalige Studenten bestätigen können.

Durch seine Gutachten in Neonaziprozessen, die auf umfassenden Quellenforschungen zur Geschichte des Holocaust beruhten, ermöglichte er eine klare Rechtsprechung gegen Neonazis und deren permanente Verleugnung des Holocaust.

Jagschitz scheute sich nicht, kritisch in die eigene Familiengeschichte zu blicken und in einem Buch über seinen Großvater Max Ronge, der bis zum Ende der Monarchie Chef des Geheimdienstes der k. u. k. Armee war, gemeinsam mit Verena Moritz und Hannes Leidinger unter dem Titel Im Zentrum der Macht (2007), dessen Tätigkeit zu rekonstruieren:  „Mein Großvater“, meinte Gerhard Jagschitz in einem Interview für Die Zeit 2007, „war nach den heute gültigen Regeln ein Massenmörder.“ Ein vergleichbares Statement findet sich selten, aber dokumentiert die strenge wissenschaftliche Prägung des Zeithistorikers Jagschitz.

Ebenso streng ging Jagschitz immer wieder mit dem Zustand der politischen Kultur in Österreich und Europa ins Gericht. Er sah die EU primär als Gefahr für die Souveränität Österreichs an, aber kritisierte ebenso den Zustand der Politik in Österreich, wenn er einen „bananenrepublikanischen Hauch“ im Zusammenhang mit dem Eurofighter-Ausschuss konstatierte. Schon als Mittelbauvertreter an der Universität Wien hat er sich erfolgreich für die Basisdemokratie engagiert und blieb in vielen Bereichen zivilgesellschaftlichen Gruppen eng verbunden.

Gerhard Jagschitz und seine durchaus scharfen und pointierten Stellungnahmen werden fehlen, seine zeitgeschichtlichen Studien und seine umfangreichen Sammlungen hingegen werden die Erinnerung an ihn und eine kritische österreichische Zeitgeschichte wach halten.

 

Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb,
Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien

*) veröffentlicht im Profil vom 6.8.2018


Siegfried Mattl 1954 – 2015

27. April 2015

Siegfried Mattl ist tot. Er ist letzten Samstag, am 25. April 2015, nach langer und schwerer Krankheit gestorben. Humorvoll wie immer, ließ er sich seine Krankheit nach außen kaum anmerken. Für alle, die ihn kannten, eine trotz des Wissens um sein Leiden kaum fassbare und schmerzliche Nachricht.

Siegi, wie wir ihn nannten, gehörte seit den 1970er Jahren wie selbstverständlich zum Institut für Zeitgeschichte, auch wenn er nie offiziell die klassischen Positionen einer universitären Laufbahn, einer Assistenten- oder Professorenstelle, einnahm. Er hat die österreichische Zeitgeschichte – vor allem in ihren kulturwissenschaftlichen Ausprägungen in den letzten Jahrzehnten maßgeblich mit geprägt.

1954 in Mürzzuschlag geboren, studierte Siegfried Mattl nach Absolvierung des Neusprachlichen Gymnasium Mürzzuschlag ab 1972 Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Wien und promovierte 1980 am Institut für Zeitgeschichte. Thema seiner Dissertation war die Agrarstruktur, Bauernbewegung und Agrarpolitik in Österreich 1919–1929.

An der Universität wirkte Siegfried Mattl in der Folgezeit an wichtigen Projekten der österreichischen Zeitgeschichte mit. Dazu zählt zweifelsohne seine Tätigkeit als wissenschaftlicher Sekretär des vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung Anfang der 1980er Jahre eingesetzten Projektteams Zeitgeschichte, das eine kritische Bestandsaufnahme der noch jungen zeitgeschichtlichen Forschung in Österreich vornahm und damit eine Debatte über notwendige Forschungsentwicklungen auslöste.

Ein Projekt, das für Siegfried Mattls frühes großes Interesse an Medien(geschichte) steht, ist seine zentrale Beteiligung an der legendären und Standards setzenden Großausstellung 1984 in der Straßenbahn-Remise Wien-Meidling „Die Kälte des Februars“ über Österreich 1933 bis 1938.

Von 1984 an war Siegfried Mattl wissenschaftlicher Mitarbeiter des von Erika Weinzierl geleiteten Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte und Gesellschaft und hatte somit eine fixe Anbindung an das Institut für Zeitgeschichte, wo er von 1986 an unterrichtete und dem er mit seiner Habilitation 1996 auch dienstzugeteilt wurde. In der Folgezeit leitete er gemeinsam mit Erika Weinzierl und Oliver Rathkolb das Boltzmann-Institut, ab 2005 war er alleiniger Leiter des Instituts im Geschichte Cluster der Ludwig Boltzmann-Gesellschaft.

Siegfried Mattls breites Interesse an Geschichte hatte klare Präferenzen, es war die Kultur-, Stadt- und Mediengeschichte, vor allem der Film, wobei er diese Forschungsgebiete alle in einem größeren Kontext der Geschichte der Moderne zu verorten wusste. Er initiierte, leitete und begleitete in den letzten zwei Jahrzehnten eine Fülle von Initiativen und Projekten im Rahmen seines Forschungsschwerpunktes, die Einbindung einer großen Zahl von Studierenden und jüngeren KollegInnen in den Wissenschaftsbetrieb war ihm dabei immer ein besonderes Anliegen.

Zunehmend baute Mattl hier seine internationalen Kontakte aus, typisch war für ihn der Aufbau eigenständiger über die Geschichtswissenschaft hinausgehender Netzwerke wie das seit 1998 betriebene Forschungsprojekt „btwh – emergence of modernity“, das gemeinsam mit dem Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaft, dem German Department der Universität Berkeley und dem Germanistischen Institut der Universität Tübingen entstand. Zunehmend führten seine Interessen Siegfried Mattl auch an andere Orte und wissenschaftliche Einrichtungen, wobei ihm die Entwicklung der Kulturwissenschaften in Österreich, betrieben auf hohem theoretischen und methodischen Niveau, immer ein zentrales Anliegen blieb. An den Grenzen des eigenen Fachs, ihren Verbindungen zu Nachbardisziplinen und Überschreitungen besonders interessiert, engagierte sich Siegfried Mattl auch über viele Jahre an der Veranstaltungsreihe der Interaktionen am Institut. In den letzten Jahren war es aber vor allem das Verhältnis zwischen Film und Geschichte, dem seine Forschungsleidenschaft galt.

Im Kontext der eher theoriefernen Domänen Neuere Geschichte und Zeitgeschichte war Mattl früh einer der Wenigen, die sich für eine explizit theoretische Fundierung der historiographischen Arbeit einsetzten und sie in verschiedene Richtungen hin forcierten. Sein Interesse galt dabei einerseits einem frankophonen Theoriestrang von Foucault über Deleuze bis zu Rancière, andererseits semiologischen und psychoanalytischen Traditionen, Gedächtnistheorien, Konstruktivismen, Theorien des Geschlechterverhältnisses und der Körperlichkeit/Embodiment, New Historicism, bis hin zu einem breiten Spektrum von Filmtheorien und Theorien der visuellen Geschichte. Zu theoretischen Diskussionen trug er umfangreich und vielgestalt bei. Ihre Verknüpfung mit empirischer Arbeit gelang ihm in ungewöhnlicher Breite.

Siegfried Mattl war ein eminent politischer Mensch. Als junger Mann in der Sozialdemokratie, dann in der trotzkistischen GRM engagiert, blieb er zeitlebens an der Geschichte der Linken, der Arbeiterbewegung, an ihrer Theorie wie ihrer Praxis besonders interessiert, die politischen Entwicklungen verfolgte er immer mit größter Aufmerksamkeit. Aber auch der universitätspolitische Kontext war ihm wichtig. So war Siegfried Mattl 1996 einer der Mit-InitiatorInnen und Gründungsmitglied der IG Externer LektorInnen.

Als Kollege war Siegfried Mattl allseits beliebt und geschätzt, den Ritualen universitärer Distinktionskämpfe entzog er sich. Für die Wissenschaft ist der frühe Tod von Siegfried Mattl ein großer Verlust, wir am Institut haben mit Siegi auch einen lieben Kollegen und Freund verloren.

Johanna Gehmacher, Albert Müller, Bertrand Perz

 

Die Verabschiedung fand am 11. Mai 2015 um 17 Uhr in der Feuerhalle Wien-Simmering.


Nachruf Heidemarie Uhl

Wir trauern um unsere Kollegin Heidemarie Uhl, die am 11. August 2023 überraschend nach kurzer Krankheit verstorben ist. Mit ihr verlieren wir eine hervorragende Wissenschaftlerin, die der Zeitgeschichtsforschung in Österreich wichtige Impulse gegeben hat, eine engagierte Dozentin und Kuratorin wissenschaftlicher Ausstellungen, und eine herzliche Kollegin und Freundin.

Gebürtige Steirerin, studierte sie zunächst Geschichte in Graz, wo sie auch ihre Dissertation verfasste, die 1992 unter dem Titel „Zwischen Versöhnung und Zerstörung. Eine Kontroverse um Österreichs historische Identität fünfzig Jahre nach dem ‚Anschluss‘“ publiziert wurde. Wie keine andere legte Heidemarie Uhl immer wieder den Finger in die Wunde bzw. die Leerstelle der österreichischen Amnesie in Bezug auf die Verbrechen der Nazizeit und erschütterte damit das nationale Selbstverständnis im Nachkriegsösterreich. Im Gefolge der „Waldheim-Affäre“ wurde ihre Stimme, zusammen mit weiteren, immer lauter, und sie geißelte die „Opferthese“ als bequemen Versuch Österreichs, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das Thema österreichische Erinnerungskultur im 20. Jahrhundert, insbesondere die Vertreibung österreichischer Jüdinnen und Juden, wurde ihr Lebensthema. 2005 habilitierte sie sich mit einer Arbeit zu „Transformationen des „österreichischen Gedächtnisses“. Krieg, Nationalsozialismus und Holocaust in der Erinnerungskultur der Zweiten Republik“, inzwischen zu einem Standardwerk zeitgeschichtlicher Forschung avanciert. Sie war in unzähligen TV-Dokus und Vorträgen in der Öffentlichkeit präsent, galt als streitbare Doyenne österreichischer Erinnerungskultur, und ging im Übrigen keiner Kontroverse aus dem Weg.

Heidemarie Uhl gelang es immer wieder, neue Themen im öffentlichen Diskurs zu platzieren, von der Sichtbarmachung der letzten Orte vor der Deportation, den Wiener Sammellagern (Ausstellung „Letzte Orte“ (2017/18), über die Ausstellung „Nur die Geigen sind geblieben… Alma und Arnold Rosé“ 2019), zu den vergessenen Opfergruppen, über ihre Forderung nach Umgestaltung der nationalen Gefallenengedenkfeiern am Äußeren Burgtor am Heldenplatz, bis hin zu ihrer letzten großen Freiluftausstellung im Oktober 2021: „Das Wiener Modell der Radikalisierung. Österreich und die Shoah“, die in englischer Fassung auch am Holocaust Memorial Center in Budapest und an der Wiener Holocaust Library in London gezeigt wurde. Heidemarie Uhl war in unzähligen Gremien und Beiräten aktiv oder sogar deren Vorsitzende, eine der Wegbereiter/innen des Hauses der Geschichte Österreich (HdGÖ) und an ihrer Arbeitsstätte in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften als Leiterin des Instituts für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte (IKT) zuletzt verantwortlich für den neuen Arbeitsbereich „Antisemitismusforschung“.

Den Studierenden ist sie durch ihre forschungsbasierte Lehre, teilweise zusammen mit weiteren Kolleg*innen, in guter Erinnerung, etwa zu den „Letzten Orten“ oder zur Provenienzforschung zu materiellen Überresten (etwa den Geigen) der Holocaustvertriebenen. Unzählige Masterarbeiten sind aufgrund ihrer engagierten Lehre entstanden. In Sitzungen hatte ihre Stimme Gewicht, und ihre Anregungen setzten neue Impulse – und ihr trockener Humor hat uns mehr als einmal wieder gelockert und zum Thema zurückgebracht. Sie wird dem Institut und uns als Kollegin fehlen, und es ist nur ein kleiner Trost, dass wir durch ihre grundlegenden Publikationen wahrscheinlich weiterhin jeden Tag an sie denken werden: „…nur die Worte sind geblieben“. Wir werden Heidemarie Uhl sehr vermissen.

(Kerstin v. Lingen)

 

Zum Nachruf der ÖAW


Univ.-Doz. Dr. Fritz Weber (1947-2020)

Das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien trauert um Universitätsdozent Dr. Fritz Weber (1947-2020), einem langjährigen Kollegen und Lektor, dem viele auch freundschaftlich verbunden waren.

Derek war ein profilierter Zeit- und Wirtschaftshistoriker, der viele Jahrzehnte wichtige Teile der Lehre am Institut für Zeitgeschichte übernommen hatte und mehrere Generationen von Studierenden mitgeprägt hat.

Wir werden ihn sehr vermissen!

Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb
Vorstand

 

 

Nachruf in den Salzburger Nachrichten vom 14.5.2020

Die „Salzburger Nachrichten“ haben einen großen Verlust zu betrauern: In der Nacht auf Donnerstag verstarb in Wien unser langjähriger Musikkritiker Derek Weber unter anderem an Covid19. In seinem „Hauptberuf“ Historiker, beschäftigte sich der 1947 in Knittelfeld geborene Wissenschafter und leidenschaftliche Musikfreund insbesondere mit der Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Er betreute das Archiv der Creditanstalt und wirkte maßgeblich an der Erforschung und Dokumentation der Geschichte der Bank mit. Er arbeitete und publizierte – als Fritz Weber – über die Wirtschaftsgeschichte der Ära Kreisky, habilitierte sich an der Universität Salzburg mit einer Arbeit über die Krise des österreichischen Bankwesens in den 1920-er Jahren, leitete eine Forschungsgruppe zu Fragen der Arisierung der österreichischen Wirtschaft in der NS-Zeit und schrieb eine Studie über die Österreichische Nationalbank von 1938 bis 1975.

Zuletzt erschien bei Böhlau seine fast 600-seitige Analyse „Vor dem großen Krach – Österreichs Banken in der Zwischenkriegszeit am Beispiel der Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe“. Auch in Vorträgen und Symposien schätzte man seine Expertisen, als „Bankenfachmann“ wie als Kulturpublizist. Als Musikkritiker blieb Derek Weber in all seinen unzähligen Beiträgen, ob zu aktuellen Anlässen wie verlässlich jedes Jahr dem Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, ob in fundierten Analysen, Aufsätzen oder Interviews etwa für die jährliche Festspielbeilage der „Salzburger Nachrichten“, immer ein Schreiber, der Leidenschaft für die Sache mit Respekt vor denen, die für uns die Musik lebendig machen, und mit einem profunden historischen Wissen mustergültig zu verbinden wusste.

Seine besondere Liebe galt dem Mutterland der Oper, Italien. Jahr für Jahr etwa berichtete Derek Weber von der Inaugurazione der Mailänder Scala am 8. Dezember oder von wichtigen Opern- und Musikfestivals, war mit Sprache und Mentalität Italiens so vertraut, dass er beispielsweise immer wieder Zugang zu einem so „schwierigen“ Künstler wie Riccardo Muti fand. Und er setzte sein Wissen und seine kritische Fähigkeit da und dort auch als Musikdramaturg ein: nie eitel, sondern als Kenner und Diener am jeweiligen Werk. Derek Webers sonore, nie vorlaute, aber gewichtige Stimme wird uns schmerzlich fehlen.

Quelle:
www.sn.at/kultur/allgemein/derek-weber-musikkritiker-der-sn-ist-gestorben-87570355
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Das Institut für Zeitgeschichte trauert um Erika Weinzierl

28. Oktober 2014

Mit großer Trauer gibt das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien bekannt, dass die emeritierte Universitätsprofessorin und langjährige Institutsvorständin Erika Weinzierl am 29. Oktober 2014 in der Früh im 89. Lebensjahr verstorben ist.

 

Verabschiedung und Einsegnung fanden am 10. November 2014 um 11 Uhr in der Friedhofskirche zum Heiligen Karl Borromäus auf dem Wiener Zentralfriedhof (Tor 2) statt.

Erika Weinzierl war eine weit über die akademischen Grenzen hinaus bekannte Zeithistorikerin, die mit großem Engagement für eine kritische Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte Österreichs, insbesondere mit Antisemitismus und Nationalsozialismus, eingetreten ist und mehrere Generationen von Historikerinnen und Historikern nachhaltig geprägt hat. Ethisches aktives Handeln zur Durchsetzung von Menschenrechten und eine offene historische Auseinandersetzung mit Menschrechtsverletzungen ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk Weinzierls.

Am 6. Juni 1925 in Wien als Erika Fischer geboren, legte sie 1943 am Humanistischen Gymnasium im 5. Bezirk die Reifeprüfung ab, um sofort vom NS-Regime zum Arbeitsdienst verpflichtet zu werden, wobei sie sowohl in einem Rüstungsbetrieb in Wien, als Straßenbahnschaffnerin und im Waldviertel auf einem Bauernhof arbeitete. 1945 nach der Befreiung Österreichs, die Erika Weinzierl im Unterschied zu vielen ihrer Landsleute als Befreiung empfunden hatte, begann sie mit dem Studium der Geschichte und Kunstgeschichte – in einem antifaschistischen und österreich-patriotischen Umfeld (sowohl bezüglich ihrer Kollegen wie dem späteren Ordinarius für Judaistik Kurt Schubert oder ihrer akademischen Lehrer). 1948 promovierte sie in Geschichte und hatte auch den 44. Lehrgang am Institut für österreichische Geschichtsforschung abgeschlossen, um dann in den Bundesdienst als Archivarin am Haus-, Hof- und Staatsarchiv einzutreten.

1948 heiratete Erika Fischer den Physiker und späteren Ordinarius am Institut für Physik Peter Weinzierl. 1950 und 1954 wurden ihre beiden Söhne Michael und Ulrich geboren.

Nach ihrer Habilitation für österreichische Geschichte 1961 ging sie 1964 als Vorstand des kirchlichen Instituts für Zeitgeschichte nach Salzburg und lehrte zusätzlich an der Universität Salzburg, wo sie 1969 zur Ordentlichen Professorin für österreichische Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte ernannt wurde.

1977 gründete sie das Ludwig-Boltzmann-Institut für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften (seit 1991 als Institut für Geschichte und Gesellschaft tätig, das sie gemeinsam mit Siegfried Mattl und Oliver Rathkolb leitete), und wurde als Nachfolgerin von Ludwig Jedlicka an das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien berufen, wo sie zwischen 1979 bis 1995 auch viele Jahre als Institutsvorständin tätig war. Sie war auch als Emerita weiterhin höchst aktiv in die Zeitgeschichtsforschung und in Vermittlungsaktivitäten eingebunden.

Erika Weinzierl reagierte wie keine Zeithistorikerin und kein Zeithistoriker vor ihr in wissenschaftlichen Arbeiten, in der Lehre und StudentInnenausbildung sowie bei öffentlichen Auftritten in den Medien und bei Vorträgen immer offen auf gesellschaftspolitische Trends und Strömungen und hatte eine Präsenz in der österreichischen Öffentlichkeit, die untypisch für akademische Historikerinnen und Historiker ist.

Bereits 1963 publizierte sie in der renommierten Religions- und Kulturzeitschrift „Wort und Wahrheit“ Monsignore Otto Mauers einen ersten, zweiteiligen Aufsatz, der das vom wissenschaftlichen Diskus ausgesparte „heiße“ Thema „Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus 1938-1945“ in das Zentrum einer historischen Arbeit stellte. Gemeinsam mit Schwester Hedwig Wahle, Otto Mauer, Kurt Schubert erarbeitete sie die „Judenerklärung“ der Wiener Diözesansynode 1970, die – bahnbrechend für die Katholische Kirche Österreichs – den Antisemitismus entschieden verurteilte.

Noch deutlicher als in ihren Werken reflektiert Erika Weinzierl in der Lehre gesellschaftspolitische Entwicklungen – sei dies im Zusammenhang mit der Öffnung der katholischen Kirche in den sechziger Jahren (auch hinsichtlich der Sozialdemokratie) bis hin zu den Nachbeben der 1968-Studenten-„Revolution“ in Salzburg, wobei sie – obwohl persönlich damals heftig attackiert – immer gesprächs- und diskursbereit blieb. Aktiv als Publizistin schaltete sie sich in den Demokratiereformdiskus um den Chefredakteur der Salzburger Nachrichten, Karl Heinz Ritschel, ein, um die verkrusteten Strukturen von Parteiproporz und Großer Koalition aufzubrechen.

Der Wissenschaftshistoriker und Philosoph Friedrich Stadler verwies zu Recht auf ihre Rolle im Zusammenhang mit der Emanzipation von Frauen: „Sie hat gerade deshalb immer wieder auf die Marginalisierung und Diskriminierung von Frauen im Laufe der Geschichte aufmerksam gemacht und hat als eine der ersten mit ihrem Buch ‚Emanzipation? Österreichische Frauen im 20. Jahrhundert‘ (1975) auf die verschüttete Historiografie sowie auf die prekäre – noch immer vorhandene – Ungleichheit hingewiesen. Nicht zuletzt dokumentiert die Herausgabe eines Buches über die antinazistische Irene Harand zugleich den vergessenen weiblichen Widerstand. Der nach ihr benannte, im Jahre 2002 gestiftete ‚Erika Weinzierl Preis für Frauen und geschlechterspezifische Arbeiten‘ an der Universität Salzburg wird ein bleibendes Signal für die künftige Forschung und Wissenschaftspolitik darstellen.“

Als engagierte Demokratin und Österreicherin war sie eine kritische Analytikerin der autoritären und faschistischen Vergangenheit Deutschlands und Österreichs sowie totalitärer Regime während des Kalten Krieges (so als aktive Unterstützerin tschechischer und slowakischer Oppositioneller bis 1989). Nie scheute sie die Auseinandersetzung mit prominenten Politikern wie Bruno Kreisky, den sie wegen seiner Haltung in der Wiesenthal-Peter-Auseinandersetzung ebenso kritisierte wie Jörg Haider wegen dessen wiederholter Verharmlosung von Nationalsozialismus, Zweitem Weltkrieg und Holocaust.

Während sie Bruno Kreisky gerade wegen dieser Offenheit schätzte und mit anderen zur Gründung der Gesellschaft für Politische Aufklärung motivierte, blieben Jörg Haider und die FPÖ ihre gegenüber immer auf aggressive Distanz, eine Haltung, die zunehmend viele – aber nicht alle! – FunktionärInnen der ÖVP, der Erika Weinzierl bis 1995 als ÖAAB-Mitglied angehörte, einnahmen.

Zahlreiche mehrfach aufgelegte Sammelwerke zur Geschichte der Zweiten und Ersten Republik tragen ihre Handschrift und sind auch international akklamiert und rezipiert worden.

Besonders prägend war Erika Weinzierl für hunderte Historiker und Historikerinnen während ihrer Universitätsstudien in Salzburg und Wien, die positiv von ihrem Engagement, Geschichte als sozialen Auftrag zu sehen, beeinflusst wurden.

Oliver Rathkolb für das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien