INTERAKTIONEN – Leo Gürtler: Unhinterfragte Schutzbehauptungen. Franz Stangls oberösterreichische Zeit im Werk von Gitta Sereny

Donnerstag, 2. Mai 2019, 12:00

Seminarraum 1, Institut für Zeitgeschichte

Universitätscampus

Spitalgasse 2-4/Hof 1, 1090 Wien

Für Franz Stangl, einem einfachen österreichischen Polizisten, war mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten der Weg für eine steile Karriere bereitet: Aufgrund seiner Verdienste vor dem „Anschluss“ wurde er in die Linzer Gestapo aufgenommen, von dort für die „Aktion T4“ rekrutiert und der Tötungsanstalt Hartheim zugewiesen. Später wurde er im Rahmen der „Aktion Reinhard“ Kommandant von Sobibor und danach Kommandant von Treblinka.

Stangl wurde Ende der 1960er Jahre von Simon Wiesenthal in Brasilien aufgespürt und nach Düsseldorf ausgeliefert. Dort wurde er im Gefängnis über mehrere Wochen von der britischen Journalistin Gitta Sereny interviewt, welche danach ein einflussreiches Buch über sein Leben veröffentlichte, das Stangls Prozessstrategie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machte: Er sei ein ordentlicher Polizist und Familienvater gewesen, der ideologisch völlig unbefangen in alles nur hineingeschlittert sei, der nur selbstlos gehorcht habe, um sich und seine Familie zu retten. Mit dieser Publikation drang eine befangene und oft widersprüchliche Interpretation seines Lebens auch in den akademischen Diskurs ein, und alle bislang erschienenen Auseinandersetzungen zu seiner Person beziehen sich hauptsächlich auf Sereny. In diesem Vortrag wird Stangls oberösterreichische Zeit im Werk von Gitta Sereny kritisch beleuchtet.

Leo Gürtler, war 2016/17 Fellow am Wiener Wiesenthal Institut, im Herbst 2018 EHRI-Fellow am Bundesarchiv Berlin und im ITS Bad Arolsen und arbeitet an dem Dissertationsprojekt Franz Stangl – Eine biographische Studie. Er ist Verleger des Wiener Verlags bahoe books.